Der Mensch denkt, spricht und schafft. Das sind die Ausdrucksweisen der einzelnen, freien Individualität. Seine Ausdrucksfähigkeiten haben alle nicht nur eine produktive, sondern auch eine rezeptive Geste des Verstehens, des Vernehmens und des Verwendens dessen, was Mitmenschen hervorbringen. Dadurch bilden sich zwischen Menschen Gemeinsamkeiten, die miteinander in Gemeinschaften verkehren.
Es ist nicht immer so, dass sie sich einig sind und gar viele werden auf ihrem Weg mit Hindernissen und Widerständen konfrontiert, mit selbsterzeugten wie mit fremdbewirkten. Habgier, Neid und Machtsucht sind Untugenden, die den Menschen herunter reißen in ein dem tierischen Verhalten verwandtes Benehmen. Hässlichkeit und Gewalt sind die Schatten, die von demjenigen, der sich strebend bemüht, selbstgefasste Ziele zu erreichen, nie weit entfernt sind.
Durch die Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte hindurch lassen sich, erschreckend und beschämend, immer wiederkehrende, ähnliche Phänomene erkennen. Das menschliche Bewusstsein wird durch Sucht und Psychotropen geschwächt, durch Dogmen und Gesetze verdunkelt. Die menschliche Tüchtigkeit durch Gewaltmaßnahmen unterdrückt und dem sklavischen Zwang im Dienste fremder Absichten unterworfen. Das Sprechen und Reden der Menschen blieb dabei der Ausdrucks- und Lebensbereich, der nicht so leicht von äußerer Macht und Gewalt eingeschränkt und gezügelt werden konnte. Entweder musste man die Einzelnen isolieren und einkerkern, im extremen Fällen wie es bei Kaspar Hauser geschah, oder als Häretiker und Lügner auf dem Scheiterhaufen verbrennen, wie einen Jan Hus oder die Gläubigen und Priester der Katharer. Selbst im letzten Augenblick des Lebens, mit dem letzten Atemzug und Seufzer lässt sich ein Trostwort, ein Wunsch oder eine Vergebung formulieren, die den Tätern nach dem Opfertod wie ein Fluch keine Ruhe lassen werden.
Was allen Menschen weltweit heute als „Gesundheits-Sicherheits-Maßnahmen“ zunächst nahe gelegt, dann aufgezwungen wird, ist insgesamt der historisch erste globale Angriff auf die Sprachfähigkeit des Menschen. Denn sie beeinträchtigen nicht nur das Aussprechen, sondern vor allem das Vernehmen. Dass in vielen politischen Verhältnissen, wo Diktaturen und Tyranneien herrschen, Meinungs- und Veröffentlichungsfreiheit unterbunden werden, ist nicht neu. In manchen Ländern haben Widerstandsbewegungen aller Art gelernt, damit umzugehen. Neu ist, dass das Vernehmen des Einzelnen in allen Lebenslagen und Lebensaltern direkt angegriffen wird.
Der Sprachsinn – das ist eines der wichtigsten Ergebnisse der anthroposophisch-erweiterten Sinneslehre Rudolf Steiners – erfasst als Sprachausdruck des Menschen, als unmittelbares Ausdrucksgeschehen und als die den Vernehmenden erreichenden Wirkungen drei Erscheinungsebenen : die Arm- und Hand-Gebärden der Gestik, die mehr oder weniger feinen Veränderungen der Gesichtszüge und der persönlichen Mimik, sowie die Laute als vokalische und konsonantische Gestaltungen der umgebenden Luftresonanz, die sich im Verlauf der Sprachäusserung zu einer sinntragenden Mitteilung, zu einer gefühlseinbeziehenden Stimmung und einer wirkungsvollen Verbindung zusammenfügen und dabei zur einmalig unverwechselbaren Ausdrucksform einer Person verschmelzen.
Die früheren Bruderschaften und Mystenverbände aller geistigen Bestrebungen haben deswegen mit Zeichen und Symbolen (gedanklich), mit Worten und Sprüchen (sprachlich) und mit Griffen, Schritten und Körperstellungen (körperlich) ihre religiösen und magischen Rituale und Verrichtungen strukturiert. Was heute Menschen durch andere Menschen angetan wird, ist eine gravierende Demütigung und eine zerstörerische Verletzung ihrer Menschenwürde, wobei die herrschenden Thesen und Argumente jegliches Hinterfragen verhindern und beängstigende Verfälschungen und Lügen verbreiten; die „Nase-Mund-Maske“ versteckt die Gesichtszüge – vertraute Bekannte erkennen sich nicht mehr und laufen aneinander vorbei, wenn sie sich gelegentlich begegnen. Die Maske erzwingt Veränderungen der Sprechgewohnheiten, damit man sich akustisch-physisch trotzdem hören kann. Die soziale Distanzierung, das Abstandhalten, das sich nicht mehr Berühren und per Handreichen grüßen dürfen, befremdet selbst im vertrauten, intimen Kreis der Familiengemeinschaft.
Diese Maßnahmen bilden durch ihre Systematik, ihre Ausbreitung und ihre Eindringlichkeit den stärksten Angriff auf das Wesen, das Leben und die Würde des Menschen wie der ganzen Menschheit. Jeder einzelne ist betroffen, keiner, Mann oder Frau, Kind oder Greis, ist heute davon unmittelbar oder indirekt unberührt und geschützt. Der Unterschied seit den Folterungen von tausenden christlichen Märtyrer in den ersten Jahrhunderten nach dem Tode des Jesus Christus auf Golgatha liegt darin, dass sich die Christen damals der gefährlichen Folgen ihrer Bekenntnisse bewusst waren, und dass heute niemand von dem überwältigenden Ausmaß dieses Angriffes verschont bleibt.
Es kann in unserer Lage vorerst nicht darum gehen, einzelne Persönlichkeiten oder Gruppierungen zu beschuldigen, selbst wenn es offensichtlich ist, dass sie an diesem Geschehen mitverantwortlich beteiligt sind, sondern darum, dass sich jeder nicht nur fragt: wie will ich als sprechender Mensch weiter leben, meinen Mitmenschen begegnen, mit meinen Verwandten, Freunden, Kolleginnen und Kollegen verkehren, sondern auch: wie kann ich mit den eigenen Erlebnissen und bewusstgewordenen Erfahrungen ehrlich und konsequent voran schreiten. Dies bedeutet eine bewusste innere Umkehr, denn selbst in der kompliziertesten Lage bleibt ein Mensch ein agierendes, sprechendes und das Geistige denkendes Individuum. Für diesen kann durch das, was diese Dimensionen leugnet und zerstört, die zentralen menschlichen Befähigungen nicht anspricht, pflegt und fördert, nichts Gutes entstehen.
Karfreitag , Basel 2. April 2021
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