Bist Du ein Anthroposoph oder soll ich die K.I. fragen ?
- Reto Andrea Savoldelli

- 10. Aug.
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Aug.
Im VideoCall vom 3. August, der u.a. der Gründung einer Träger-Genossenschaft für das Pareto-Projekt gewidmet war, stellte mich Milosz Matuschek den Teilnehmenden als einen "Anthroposophen" vor. - Zu einem späteren Zeitpunkt kam ich darauf zurück und teilte mit, dass ich kein Anthroposoph sei; dass eine solche Feststellung zwingend missverständlich sein müsse und dass ich mich dazu schriftlich unter "Bist du ein Anthroposoph? Oder soll ich die K.I. fragen?" äussern könne. Milosz hat daraufhin sein Interesse an einer solchen Ausführung geäussert. Zwei Tage später habe ich ihm den folgenden Text zugesandt. Reto Andrea Savoldelli

Bin ich ein Anthroposoph oder soll ich die K.I. fragen ?
RAS Luzern, 8.Juli 2025 . Foto: Adriano Girardet
Wenn mich jemand fragt: "Bist du Anthroposoph?", könnten die möglichen Antworten wie folgt lauten: "Wie kommst du denn auf sowas?" - "Warum interessiert dich das?" - "Wenn ich wüsste, was du lieber hören möchtest, fiele mir die Antwort leichter." - "Ich weiss nicht, was du unter einem Anthroposophen verstehst, also .. es kommt drauf an." - "Nein, ganz sicher nicht." - "Klar, siehst du doch!" - "Gute Frage, was interessiert dich denn an Anthroposophie?" u.a.
Wer denkt, es könne bei der Beantwortung einer Frage doch immer nur die Wahrheit die Richtung bestimmen, der tut gut daran, zu verstehen, warum nicht immer eine sogenannte "ehrliche Antwort" erwartet werden kann. Gerade bei tiefgründigen Fragen, die nicht in die Kategorie von "Hast du das Parkticket gelöst?" fallen, ist die Übereinstimmungs-fähigkeit zwischen den Vorstellungen des Fragenden und des Antwortenden entscheidend. - Nehmen wir ein sehr ungewöhnliches Beispiel. Jemand stellt einem Menschen, den er für einen geistig Eingeweihten hält, die Frage: "Kannst du meine Intuition bestätigen, dass ich meinen jetzigen Chef in unserem gemeinsam letzten Leben umgebracht habe ?" - Dazu äussert sich Rudolf Steiner im einleitenden Kapitel von "Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?":
«.. Es gibt ein natürliches Gesetz für alle Eingeweihten, das sie dazu veranlaßt, keinem suchenden Menschen ein ihm gebührendes Wissen vorzuenthalten. Aber es gibt ein ebenso natürliches Gesetz, welches besagt, daß niemandem irgend etwas von dem Geheimwissen ausgeliefert werden kann, zu dem er nicht berufen ist. Und ein Eingeweihter ist um so vollkommener, je strenger er diese beiden Gesetze beobachtet.»
Im alltäglichen Hausgebrauch werden vor allem Fragen gestellt, deren Beantwortung leicht fällt, und bei denen man sich nicht mehr wie früher auf die Empfindung, dass die Antwort den Fragenden nichts angehe, berufen kann (so hat beispielsweise die gegenwärtige First Lady der USA die Frage, ob und wenn ja, mit welcher Art von Pyjama der Präsident ins Bett gehe, ohne zu zögern beantwortet.) Eine solche Frage hätte noch vor wenigen Jahrzehnten den Journalisten als eine ganz unverschämte weitreichend diskreditiert. Was wohl die "Offenlegungsverpflichtung" für den "gläsernen Menschen" in den letzten Jahrzehnten so grundlegend verändert haben mag ? Wenn die Antwort nicht schwierig ist, so habe der Fragende als Vertreter der Öffentlichkeit darauf auch Anrecht. Und eine Antwort wie "du solltest diese Frage nicht ernstlich stellen, denn sie betrifft dich nicht" weckt heute nicht nur bei investigativen Journalisten den Verdacht der Verheimlichung.
Unsere in Rede stehende Frage betreffend, kann, die Geduld des Fragenden in Anspruch nehmend, erläutert werden, warum sowohl eine oberflächliche wie eine inhaltvolle Antwort missverständlich bleiben müssen. Damit wird, das "Raus mit der Sprache" zurückdrängend, die Möglichkeit gegeben, den Begriff "Anthroposophie" gemeinsam zu bedenken, anstatt mit der Wünschelrute die Vorstellung des anderen von "Anthroposoph" ermitteln zu wollen. Denn diese können zwischen "diese Person findet Steiner toll" und "sie scheint alles von Steiner gelesen zu haben" bis "sie postet immer ellenlange Zitate aus irgendeinem seiner Vorträge in sozialen Medien" schwanken, zwischen "sie ist Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft" bis "sie bleibt mit ihrer kopflastigen Dogmatik in verstaubten Anschauungen weit hinter einer heute fortgeschrittenen, alternativ globalen Spiritualität zurück".
Von entscheidender Bedeutung ist, ob wir uns des Unterschiedes zwischen Worten, Vorstellungen und Begriffen bewusst geworden sind und wir, auf nichts als die eigene innere Beobachtung gestützt, jenen Unterschied auch in uns anerkennen können. - Begriffe werden gewiss nicht sinnlich, sondern geistig erfasst und übermittelt. Dass dies nicht allein bei der als spektakulär erachteteten Telepathie der Fall ist, offenbart schon der nähere Umgang mit Kindern, die vieles von dem "erraten", was ihren Eltern durch den Kopf geht. Jeder kennt den Vorgang nonverbaler Begriffsübertragung, bei dem sich etwa ein Sprechender in der Wortwahl irrt und der Hörer dennoch weiss, welchen Begriff er geistig aktiviert und, wie man sagt, gemeint hat. - Die Aussage Rudolf Steiners zu Beginn des vierten Kapitels Die Welt als Wahrnehmung seiner Philosophie der Freiheit wird uns kaum erstaunen:
"Was ein Begriff ist, kann nicht mit Worten gesagt werden. Worte können nur den Menschen darauf aufmerksam machen, dass er Begriffe habe."
Eine Idee (ein erweiterter, erlebnisgesättigter Begriff) ist ein geistiges Lebewesen, dessen Zugehörigkeit zum gesamten Universum des Denkens uns auch dann bewusst ist, wenn wir für gewöhnlich nur dessen nähere Begriffsumgebung aktivieren, um ihn in das fokusierte Licht des individuellen Bewusstseins zu stellen. Nicht, dass die sich an den Begriffsinhalt unmittelbar anschliessenden Begriffe jenen etwa erst konstituieren oder verständlich machen könnten, sondern so, dass er durch die Beleuchtung ihn tragender oder erläuternder Begriffe sein Darinnenstehen in der Hierarchie des Denkens im Licht logischer Selbstbindungskräfte erkennen lässt. So können wir "Kausalität" nicht erst durch das untergeordnete Begriffspaar von "Ursache und Wirkung" verstehen. Doch ist auch "Ursache" nicht vom Verständnis seines korrespondierenen Begriffs der "Wirkung" abhängig.
Das Denken als der Inbegriff der durch Individuen produzierten Begriffswahrnehmungen (den evidenten Intuitionen) vermittelt die Übertragung der Gedankenlebewesen aus dem objektiven Geistraum in den subjektiven Bewusstseinsraum, worin diese die Form von erinnerbaren Vorstellungen annehmen. – Weil diese Übertragung tatsächlich immer stattfinden muss und auch stattfindet, gibt es auch "Begriffe", "Ideen", das heisst Zusammenhänge, die unwahr sind und als Lügen wirksam werden. Dies, weil die Transformation ideeller Zusammenhänge aus ihrem lebendig übervorstellbaren Bereich der Leibunabhängigkeit zu den vorstellbaren und somit erst erinnerbaren Phänomenen des individuellen Bewusstseins von dem Begleitumstand einer moralisch bestimmten Geisttätigkeit des Ich's mitbestimmt wird (was näher auszuführen wäre, wofür hier kein Platz ist. J.G. Fichte in der Einleitung seiner Wissenschaftslehre: "Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was für ein Mensch man ist." )
Wenn die Übertragungsaktivität sowohl ichbewusst wie wahrheitsorientiert erfolgt, verbleibt den Ideen der Schein ihres geistigen Lebens. Wenn die ichhafte Kommunkation während jener Transformation ausbleibt, verbleiben die Begriffe im wörtlichen Sinne "unbedacht" und werden, von Gefühlen und unbewussten Bedürfnissen durchzogen, zu subjektiven Wortvorstellungen. Dies ist erfahrungsgemäss das mehrheitlich Übliche, besonders, wenn die herangezogenen Vorstellungen mit der Sicherung von Macht und Bemächtigung, das heisst mit Propaganda und Selbsterhalt zu tun haben. Es tritt dies nicht allein auf politisch-staatlichen und finanzwirtschaftlichen Podien auf, sondern stellt sich auch auf alternativen Austauschforen ein, die jene bekämpfen. Der Leser oder Zuhörer begegnet in diesem Falle bloss sympathisierenden oder anthipatisierenden Bezügen zu gruppenspezifischen Wortfolgen, deren Aussagen deutlich machen, dass sie nicht durch die Mühe des Erkennens geprüft wurden. Sie entstammen argumentativ genutzten Gedächtnisengrammen und nicht der Selbstbildung intuitiv erfasster Ideen.
Wenn nun ein Sprechender oder ein Schreibender einen Satz als die logische Grundlage der menschlichen Kommunikation (ich lasse die "nonverbale" Kommunikation aus gutem Grund aus) mit dem kontinuierlich aktivierten Bewusstsein für seine begriffliche Gliederung ausspricht oder niederlegt, erfüllt er eine der Voraussetzungen, die ihn als Anthroposophen kennzeichnen können. Wenn seine Aussagen seine seelischen Erfahrungen geistiger Tatsachen enthalten, versteht er sich als ein vom lebendig wirksamen Geist Lernender, als ein Geistesschüler. Rudolf Steiner hat ihn folgendermassen charakterisiert (im ersten seiner "Anthroposophischen Leitsätze"):
Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte. Sie tritt im Menschen als Herzens- und Gefühlsbedürfnis auf. Sie muß ihre Rechtfertigung dadurch finden, daß sie diesem Bedürfnisse Befriedigung gewähren kann. Anerkennen kann Anthroposophie nur derjenige, der in ihr findet, was er aus seinem Gemüte heraus suchen muß. Anthroposophen können daher nur Menschen sein, die gewisse Fragen über das Wesen des Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeit empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet.




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