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Buchtipp

Heinz Mosmann, der Parzival Wolframs von Eschenbach

544 S. Verlag Freies Geistesleben 2020, € 39

Reto Andrea Savoldelli


Am Pfingstsonntagmorgen in diesem Jahr lauschte ich im grossen Saal des Goetheanum dem Vortrag von Heinz Mosmann über „Gawan – Künstler, Sozialgestalter, Friedensstifter“. - Aus dem Programm einer reichhaltigen Tagung, welche die Sektion für Schöne Wissenschaften zum Gral-Thema vorbereitet hatte, musste ich mich mit diesem einen Vortrag begnügen, stand doch mein Abflug nach Russland für einen sechswöchigen Aufenthalt in Russland kurz bevor. Heinz Mosmann (geb.1948) hielt im Goetheanum zum ersten Mal einen Vortrag. Für mich wurde er zum bewegendsten unter den Vorträgen, denen ich im Goetheanum beigewohnt habe. Dass ich mir diese persönliche Auszeichnung zu erwähnen erlaube (obwohl sie in einer Buchbesprechung nicht erläutert zu werden braucht), möge man mir nachsehen.


Die sich an den Vortrag anschliessende Pause enthielt eine knapp bemessene Gelegenheit, mich mit dem Vortragenden und Autoren auszutauschen, dessen Schrift zu Wladimir Solowjow (1) ich zuvor bereits gelesen und dessen Sohn Johannes Mosmann ich im Berliner Institut für soziale Dreigliederung als einen hervorragenden Kenner der Dreigliederungsidee Rudolf Steiners kennengelernt hatte. Auch gelang es mir, das einzige Exemplar seiner Parzival-Schrift zu erwerben, das zu jenem Zeitpunkt in der Goetheanum-Buchhandlung zur Verfügung stand und wofür sich bereits mehrere andere Kunden interessierten. Sollte mich doch Mosmanns Werk als einziges Buch auf meiner Russlandreise begleiten. Es wurde mir im Wirbel der Ereignisse, in die ich in Sankt Petersburg aufgenommen wurde (2), zur Ruhewiese, auf welcher ich geistig Atem holen konnte.


Seit den fernen Tagen, in denen eine Nonne des "Seraphischen Liebes-werkes" in Solothurn die Geschichte Parzivals in manchen Erzähletappen für mich allein als einem ihrer Drittklässler erzählt hatte, haben mich die Fragen um heiligen Gral, später um die Person Wolframs von Eschenbach nicht mehr verlassen. - Die Nonne hat mir kurz vor ihrem Tod das illustrierte Buch der Kinderbuchautorin Auguste Lechner, dem sie bei ihrer Erzählung gefolgt war, geschenkt.





ILLUSTRATIONEN AUS LECHNER, PARZIVAL


Ich habe später viele Bücher zum Thema gelesen. Einige davon fand ich im Literaturverzeichnis von Mosmanns Werk wieder. Doch überragt dieses in meinen Augen sie an Bedeutung , weil keine andere Schrift mir Wolfram von Eschenbach geistig so nahe gebracht und seinen Parzival unserer gegenwärtigen Bewusstseinslage so wirklichkeitsgemäss übermittelt hat. Mosmann hat sich im Verlauf von Jahrzehnten, wohl

mitimpulsiert durch die sich wiederholt stellende Aufgabe, in der 11. Klasse die Parzivalsage den Schülern der Waldorf-Oberstufe darzustellen, ein inhärent erläutertes Verständnis der Geistesart des Eingeweihten und ersten deutschen „Romanciers“ Eschenbach erarbeitet.


Mosmanns Ausführungen folgen dem Verlauf des Geschehens des

Romans. Thematische Einschübe und überblickende Rückbezüge gliedern sie rhythmisch und sind - das ist das reizvoll Befriedigende dabei - von gemüthaft erlebten und klaren Ideen eines im wahren Sinn des Wortes anthroposophischen Geistesschülers durchdrungen. Mosmann wird der hohen Kunstfertigkeit seiner Vorlage als dem Werk eines „analphabetischen Schriftstellers“ (sofern wir die diesbezügliche Aussage Eschenbachs buchstäblich zu verstehen haben) dadurch gerecht, dass er seine zentralen Bildsymbole und die mit ihnen einhergehenden moralischen Aspekte als eine universalästhetische Gleichgewichtsbildung erkennt. Sie pendelt im seelischen Personalbestand seiner Erzählung zwischen entwicklungshemmenden Verhärtungen und „Verrennungen“, die aus Lichthunger (Orgeluse und Sigune) wie Sinnlichkeitsdurst (Anfortas und Gramoflanz) entstehen können. Der zentrale Gralsucher der Geschichte zeigt, wie er in sich beide entwicklungsnotwendigen Tendenzen gegenseitig im Zaum hält. Heinz Mosmann gehört wohl der erlesenen Runde an, von deren Mitglieder Wolfram in seinem Prolog sagt: „Wer da noch mithalten kann bei sämtlichen Kadenzen, den hat die Weisheit lieb - das ist der,

der sich nicht verhockt und nicht verrennt, er macht was andres: er versteht sich drauf.“


Ein Element, was ins Auge sticht, ist die berechtigte Emphase, mit der Mosmann die Bedeutung des Geschehens, auch für die zentrale Gralsuche Parzivals, unterstreicht, das zur Befreiung der Menschen aus den Fängen der Klingsormacht auf Chastel Marveille führt. Es kulminiert in der erneuerten Liebefähigkeit der tragisch stolzen Orgeluse wie auch in der Verwandlung des kriegstollen Popanz und „Wächter des Tugend-baums“ Gramoflanz, der ein zartbesaiteter und friedfertiger Minnediener wird. Das alles nimmt im zweiten Teil von Eschenbachs Werk viel Raum ein und verunsichert zunächst viele, da dadurch Parzival für längere Zeit aus dem Blickfeld verschwindet und sich für jeden Leser die Frage aufdrängt, warum Gawan über grosse Strecken ins Zentrum der Erzählung gerückt wird, und was die parallel laufende Geschichte bei der äusseren Abwesenheit von Parzival für ihn zu bedeuten könnte.


Mosmann zeichnet die Beantwortung dieser Frage aus einer denkend ergriffenen „allgemeinen Menschenkunde“ nach. Er macht die Bedingungen bewusst, welche erfüllt sein müssen, damit Parzival, entgegen den Erwartungen von einigen dem Gral nahestehenden Personen (Trevrizenz, Sigune, Kundrie), Anfortas heilen und als neuen Gralskönig ablösen kann. Sie liegen in der sorgfältig vorbereiteten Vertiefung seiner Beziehung sowohl zum Freundesbruder Gawan wie zum Halbbruder Feirefiz. - Dann erst können die Wiedervereinigung mit Konduiramur, der neuen Gralskönigin, sowie die Taufe von Feirefiz und seine die gesamte Aventüre abschliessende Verbindung mit der Gralsträgerin, der Jungfrau Repanse de Schoye, sowie ihrer beiden Abreise in den indischen Osten stattfinden.


Das Buch hat 544 Seiten, enthält somit sehr viele Sätze. Ihre letztendliche Form fanden sie wohl über einen langen Zeitraum hindurch. Es steckt sehr viel Arbeit darin und wurde nicht „aufs Papier geworfen“. Die Formung des Stoffes begründet den Genuss des Lesers, wenn er dem Gang und Rhythmus des Mosmann’schen Textes folgt. Für mein

Empfinden sind die Kapitel in der Länge immer richtig portioniert. Dies deshalb, weil sie eine in sich zusammenhänge Idee enthalten und nicht, wie oft anderswo, vom Verleger oder vom ungegliederten Text gefordert, eine willkürliche Seitenzahl, deren Bewältigung dem Leser in einem Zug zugemutet werden kann, in ein Kapitel geklammert wird. Deshalb lassen sie sich auch sehr gut einzeln lesen.


Im letzten Teil des Buches („der Sinn der Erde“) werden die Kapitel kürzer. Er enthält geistig überzeugende Zukunftsvergewisserungen für diejenigen, die den Weg zum Gral in realiter beschreiten und denen „triuwe“ und „staete“ zur zweiten Natur wurden. Sie sind mit

„Die Zukunft der Gralsgemeinschaft“, „Vom Geist des Fragens“ und „Saelde“ überschrieben. Sie machen deutlich, dass wir es beim Autoren mit einem wahren Schüler Rudolf Steiners und damit einem produktiven Zeitgenossen zu tun haben. Dass Mosmann keine idealistisch

eingehüllten Lesefrüchte in Form von „anthroposophischen Deutungen“ an eine profan aufgefasste Aventüre heranträgt, konnte der Leser bereits in den vorangehenden Kapiteln feststellen (z.B. „Erkenntnis als Kommunion“). Im letzten Teil gibt der Autor sich individuell willenshaft zu erkennen. Im Kapitel „Vom Geist des Fragens“ etwa liegt die

Schwelle zur geistigen Welt im Fokus der Aufmerksamkeit. Der Text unterscheidet die Verstandestätigkeit von der Geisterkenntnis und damit die Berechtigung und Notwendigkeit des Fragens (am Beispiel Parzivals) von denjenigen Situationen (am Beispiel von Feirefiz Taufritual), in denen das Fragen unangebracht ist. Es würde den Unwillen offenbaren, durch das Ertragen des im Innern arbeitenden Schweigens sich das Verständnis des Gesuchten wahrhaftig erringen zu wollen. - So bildet die praktizierte Schülerschaft im Umraum einer modernen

Geisteswissenschaft überall den moralisch-willenshaften Texthintergrund. Sie begründet oft nur angedeutete Zurückweisungen und Korrekturen anderer Autoren der Eschenbachforschung wie auch wertvolle Hinweisen auf zu gering wahrgenommene Verdienste anderer, denen ich mit innerer Genugtuung zugestimmt habe.(3)


Eschenbach beginnt seinen berühmten Prolog mit dem Bild einer Seele in Schwarz/Weiss. Und meint, „der kann doch noch glücklich sein, denn an ihm ist etwas von beiden: vom Himmel und von der Hölle“. - Ja sollen wir uns, Eschenbach zufolge, mit der Elster identifizieren ? Darauf gibt Eschenbach gewiss keine Antwort, sondern bescheinigt uns, dass „das fliegende Beispiel zu flink für dumme Menschen“ sei, „sie bringen es nicht fertig, ihm nachzudenken; denn es kann vor ihnen Haken schlagen grade so wie ein verstörter Hase. Zinn, hinten am Glas, macht trügerisch tanzende Lichter und ebenso des Blinden Traum: Die geben einem die Haut, die obendrauf schwimmt auf den Bildern. Doch kann dieses stumpfe, leichte Scheinen nicht in Festigkeit dauern; es macht ein kurzes Glück, das ist wohl wahr.“ - Spiegel waren in Eschenbachs Tagen hinter Glas angebrachtes Zinn. Die Spiegelbilder sind des Blinden Traum. Er versteht nicht, was sich spiegelt, sondern wird von der Suggestion gefesselt, die von der Sinnesoberfläche auf ihn einwirkt und die auf den Imaginationen des Wahrhaftigen schwimmt. Rudolf Steiner hat dafür das Bild von Kohlensäureperlen, die im Wasser aufsteigen, verwendet: „Und wie leichte Daseinsperlen - Lebt im Meer des Göttlich-Wahren, - Was den Sinnen Dasein täuscht.“ (4)


So wie im Prolog vom „Zwifel“ die Rede ist, welcher die Seele sauer werden lässt, wenn er vom Herzen nicht abgehalten werden kann, so spricht der Epilog von der „Saelde“, von dem geistigen Frieden, der die Teilnehmer der Gralstafel vereinigt und kräftigt. Eine Seligkeit, der derjenige sein eigen nennen kann, der „Gott nicht durch die Schuld des Leibes der Seele beraubt“ und der gleichzeitig „die Gunst der Welt mit Würde bewahren kann“. - Und wieder offenbart sich der Eingeweihte als Künstler, der um das „Spiel der Menschwerdung“ weiss. Es ist tief berechtigt, wenn Mosmann zum Schluss Friedrich Schiller zitiert, der in

seiner ästhetischen Erziehung des Menschen den herrlichen Satz geprägt hat: „Es ist dem Menschen einmal eigen, das Höchste und das Niedrigste in seiner Natur zu vereinigen, und wenn seine Würde auf einer strengen Unterscheidung des einen von dem anderen beruht, so

beruht auf einer geschickten Aufhebung dieses Unterschieds seine Glückseligkeit.“


Heinz Mosmann bringt damit zum Ausdruck, was seine ganze Schrift durchzieht, nämlich sowohl dem genialen Erzähler und Schriftsteller Eschenbach, der die ganze Fülle seiner äusseren Lebenserfahrungen in seiner Aventüre aufzugreifen versteht, wie auch dem tief in die

Mysterien der Initiationsdramatik Eingeweihten gerecht werden zu können. Wer nicht die geistigen Imaginationen hinter der Bilderhaut der dichterischen Phantasie des Eingeweihten wirksam erkennt, wird sich „verhocken“ und mit anderen „traumblinden“ Exegeten in Streit

geraten. Und wer überall in Eschenbachs Erzählgarn, in das er unzählige Tjoste und viele glücklich und unglückliche Fälle von Abenteuern der Minne eingesponnen hat, als Antrieb seiner dichtenden Phantasie „geistige Mitteilungen des Eingeweihten“ sucht, wird sich gewiss „verrennen“. In den geistigen Genuss des Vollgehalts der Eschenbachschen Gralshistorie gelangt der Leser wohl nur, wenn er beides meidet und sich mit dem Autoren „darauf versteht“.

Dazu bietet Heinz Mosmann mit seinem Werk eine hochwillkommene und in der anthroposophischen Literatur selten gelungene Anregung.


1 H.Mosmann, Wladimir Solowjoff und „die werdende Vernunft der Wahrheit“, Keime zu einer

Philosophie des Geistselbst, Stuttgart 1984

2 Auf www.hieronymusfilm.ch/spb finden sich u.a. vierzehn dort entstandene Video - Tagebuchbeiträge

3 So etwa die willkürliche Abänderung der Gralsgeschichte in Wagners Oper, welche das geisteswissenschaftliche Verständnis des Grals nicht befördert und auch nicht durch die Notwendigkeit zur opernhaften Kurzform zu begründen ist. Oder der Hinweis auf die Arbeit zum

Verständnis des physischen Geistleibes durch den Anatomen Johannes W.Rohen oder der andere auf die Bedeutung der Schrift Solowjows zum Sinn der Geschlechterliebe. Zwischen Platos Symposion und der Schrift des Russen hat die Philosophie wenig hervorgebracht, was dem

Niveau des Minne-Verständnisses in seiner umfassenden Form in Eschenbachs Parzival entsprechen würde. https://seminarshop.company.site/Wladimir-Solowjew-der-Sinn-dergeschlechtichen-Liebe-p523883145

4 Die Schlusszeilen des dreiteiligen Mantrams, das Rudolf Steiner in den esoterischen Stunden des Jahres 1914 den Zuhörern zu Gehör brachte.

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