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Richard Weinberg

Der 8. Februar 1925 und Rudolf Steiners Ansprache vom 29. Juni 1924




Sehr viel Aufwand war über Jahre von verschiedenen Seiten betrieben worden, um zu beweisen, daß ab dem Jahr 1925 in der Anthroposophischen Gesellschaft ein fundamentaler Irrtum bezüglich ihrer eigenen Identität vorläge bzw. vorgelegen habe. Trotz des mittlerweile ergangenen gegenteiligen Gerichtsurteils ist es in maßgeblichen Kreisen innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft heute üblich geworden, diese These wie eine nachgewiesene Tatsache vorauszusetzen. Unter demjenigen, woraus man diese Auffassung ableiten zu können meint, spielen bestimmte Aspekte der Generalversammlung des Vereins des Goetheanum vom 8. Februar 1925 sowie der am selben Tag durchgeführten Anmeldung der dort gefaßten Beschlüsse an das Handelsregister eine zentrale Rolle. Es besteht nämlich augenscheinlich ein Widerspruch zwischen dem Wortlaut der amtlichen Anmeldung einerseits, in welcher von einer „Namensänderung“ des Vereins des Goetheanum in „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ die Rede ist, und dem Wortlaut der an der Generalversammlung des Vereins des Goetheanum am 8. Februar 1925 beschlossenen Statuten, welche dieser Anmeldung beigefügt worden sind. In diesen ist nicht von einer „Namensänderung“ die Rede, sondern davon, daß die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft die „Rechtsnachfolge“ des Vereins des Goetheanum antritt. Ein weiteres Problem scheint darin zu bestehen, daß diese Statuten an einer Generalversammlung des Vereins des Goetheanum verfaßt worden sind, aber für die Gesellschaft gelten sollen, die als dessen Rechtsnachfolgerin genannt wird. Die an der Generalversammlung des Vereins des Goetheanum beschlossenen Statuten sollten also demgemäß auch für die vielen Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft gelten, die zu dem Zeitpunkt gar nicht Mitglieder des Vereins des Goetheanum waren.

Ohne hier zunächst auf die beiden Urteile des Dornacher Amtsgerichts vom 2./3. Februar 2004 einzugehen, sei hier der Frage nachgegangen, aufgrund welcher Voraussetzungen man im Jahre 1925 glauben konnte, auf dem damals eingeschlagenen Weg die an der Weihnachtstagung 1923/24 begründete Gesellschaft ins Handelsregister eintragen zu können. So konstatierte ja z.B. auch Rudolf Steiner in einem Schreiben vom 19. März 1925, daß „nunmehr die handelsregisterliche Eintragung der 'Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft' erfolgt ist“.

Um dieser Frage nachzugehen, sei zunächst das Augenmerk auf Rudolf Steiners Ansprache gelenkt, welche er am 29. Juni 1924 an der außerordentlichen Generalversammlung des Vereins des Goetheanum gab. Zu dieser Versammlung hatte er am 27. Juni 1924 am Ende eines Vortrags in völlig unbürokratischer Weise auch alle anwesenden Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft als Gäste eingeladen, also auch solche, die nicht Mitglieder des Vereins des Goetheanum waren.


Rudolf Steiners Ansprache an der Versammlung vom 29. Juni 1924, die der Statutenbesprechung voranging, ist Rudolf Steiners entscheidende und einzige erhaltene ausführliche Darstellung dessen, worum es bei der Eintragung der Anthroposophischen Gesellschaft ins Handelsregister sowie bei ihrer Verbindung mit dem Verein des Goetheanum gehen sollte. Zuvor hatte er das Thema an der Weihnachtstagung zur Begründung der Anthroposophischen Gesellschaft am 27. Dezember 1923 kurz angesprochen, indem er im Zusammenhang mit der Besprechung der Statuten, die in der Folge einstimmig angenommen worden sind, davon sprach, daß eine „entsprechende Relation“ zwischen dem Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft und dem Verein des Goetheanum herzustellen sein wird. Hiebei betonte er auch, daß diese Relation auf der Grundlage der Statuten (später „Prinzipien“ genannt) zu suchen sein wird, wie dem ja auch gar nicht anders sein konnte, da ja diese das gesamte künftige Wirken insbesondere des Vorstands beschreiben sollten.


In seiner Ansprache am 29. Juni 1924 sagt Rudolf Steiner zunächst das Folgende: „... Sie wissen, es wurde damals ein Vorstand am Goetheanum hier bei dieser Weihnachtstagung eingesetzt, der nun in voller Verantwortung, als initiativer Vorstand mit voller Verantwortung sich gegenüber dem fühlt, was in der Anthroposophischen Gesellschaft geschieht. Und die Durchführung dieser Intention ist nur möglich, wenn die Anthroposophische Gesellschaft in der Zukunft auch gegenüber der vollen Öffentlichkeit als dasjenige da steht, was real die Dinge gestaltet, was real sich auch voll verantwortlich fühlt für alles dasjenige, was ist. Dies kann nur erreicht werden, wenn wir in der gegenseitigen Beziehung der einzelnen Betätigungen nun auch eine einheitliche Konstituierung herbeiführen.“ Im weiteren Verlauf von Rudolf Steiners Ansprache wird deutlich, daß er mit demjenigen, wovon er hier sagt, daß es „in der Anthroposophischen Gesellschaft geschieht“, auch die Betätigungen des Vereins des Goetheanum, der Klinik von Ita Wegmann und des Philosophisch-Anthroposophischen Verlags meint, also Betätigungen, die zu dem Zeitpunkt offiziell noch gar nicht Belange der Anthroposophischen Gesellschaft sind. Dabei ist aus seinen Worten eindeutig ersichtlich, daß er von der an der Weihnachtstagung 1923/24 begründeten Gesellschaft spricht, sowie auch, daß er die Bezeichnungen „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ und „Anthroposophische Gesellschaft“ synonym gebraucht. Er spricht also von einer Verantwortlichkeit, die faktisch schon besteht, obgleich dafür auf formalrechtlicher Ebene gar keine Anhaltspunkte vorliegen.


Diese Verantwortlichkeit soll nun auch auf formalrechtlicher Ebene völlig deutlich, also offiziell werden. Der von Rudolf Steiner hier gebrauchte Ausdruck „nach außen hin“ wird vielfach im Sinne von „bloß nach außen hin“ interpretiert, was bedeuten würde, er hätte eine rein formale Verantwortlichkeit gemeint. Dieses wäre aber jener vereinsmäßige Gesellschaftsstil, den er entschieden ablehnte. Er sagt aber nicht „bloß“, sondern im Gegenteil: „auch gegenüber der vollen Öffentlichkeit“ solle die Anthroposophische Gesellschaft als dasjenige dastehen, „was real die Dinge gestaltet, was real sich auch voll verantwortlich fühlt, für alles dasjenige, was ist.“ Dies wird nochmals deutlich, wenn Rudolf Steiner nun in Bezug auf die Tätigkeiten des Vereins des Goetheanum sagt: „Und da ist denn für den Verein des Goetheanum Dornach zwischen dem bisherigen Vorsitzenden Dr. Grosheintz und mir abgesprochen worden, daß erstens, weil namentlich seit der so schmerzlichen Goetheanum-Katastrophe die Ordnung der Angelegenheiten doch mir zugefallen ist, es in der Zukunft deshalb auch mir möglich sein muß, mit voller Verantwortung für dasjenige, was hier geschieht, einzutreten.“ Es ist also eindeutig: Rudolf Steiner spricht von einer realen, faktisch bereits bestehenden Verantwortlichkeit, welche nun auch offiziell werden soll.


Im folgenden beschreibt Rudolf Steiner, was geschehen soll, um dieses Ziel zu erreichen. So soll die „Anthroposophische Gesellschaft nach außen hin diejenige Institution [werden], welche alles hier in Dornach zu vertreten hat.“ Das heißt also nicht nur die Belange des Idealvereins Anthroposophische Gesellschaft als solcher soll sie vertreten, sondern auch die diversen genannten Betätigungen, die nun Unterabteilungen derselben bilden sollen. Daher muß die Anthroposophische Gesellschaft anstelle des Vereins des Goetheanum der „eigentlich handelsregisterlich eingetragene Verein“ werden.)


Der Grund für diese Eintragung lag einerseits darin, daß Klinik und Verlag wirtschaftliche Tätigkeiten verfolgten. Anderseits war der Verein des Goetheanum eingetragen, weil dies für seine Tätigkeiten, zu denen - nicht nur (!) - die Verwaltung von Immobilien sowie Geldmitteln für den Bau des zweiten Goetheanum gehörten, zweckmäßig war. Der Sinn des Eintrags bezog sich also darauf, daß der Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft auch für die wirtschaftlich orientierten Unterabteilungen offizielle Rechtsfähigkeit erlangen sollte.)


Wollte man sich in der Logik der heutigen Konstitutionstheoretiker bewegen, so müßten einem Rudolf Steiners Worte unverständlich bleiben, denn man würde natürlich nirgends eine formalrechtliche Bestätigung dafür finden, daß der Verein des Goetheanum der Anthroposophischen Gesellschaft zu dem Zeitpunkt bereits angehört hat. Rudolf Steiner will aber von einer vollkommen anderen Denkweise ausgehen. Er beschreibt diese in den nächsten Sätzen: „Es wird also notwendig sein, daß da bestehen werden: die „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ als handelsregisterlich eingetragener Verein. Innerhalb dieser Anthroposophischen Gesellschaft werden vier Unterabteilungen zu begründen sein. Diese vier Unterabteilungen) sind von mir in der Weise projektiert, daß ich dabei durchaus keine programmatischen Dinge, sondern nur die rein realen Dinge berücksichtige. Wir haben seit dem Jahre 1919 viel mit Programmatischem gearbeitet. Aber von dem Augenblicke an, da ich den Vorsitz der Anthroposophischen Gesellschaft zu Weihnachten übernommen habe, kann ich selber mit dem Programmatischen verantwortlich nicht arbeiten, aus dem einfachen Grunde, weil mir alles Programmatische, alles Theoretisierende, alles, was mit Paragraphen arbeitet, nicht aus einem persönlichen Grunde, sondern aus dem ganzen Grundwesen unserer anthroposophischen Bewegung wirklich ganz zuwider ist. Es kann nur aus dem Realen gearbeitet werden.“ Seine ganze Darstellung ist, wie wir gesehen haben, in diesem Geist gehalten. Und im nächsten Satz reibt er dies den Zuhörern geradezu nochmals unter die Nase: „Reale, vom Anfange an in lebendiger organischer Tätigkeit [zusammen]wirkende Institutionen haben wir in vier – ich möchte sagen – vier Strömungen.“ Es ist offenkundig, daß Rudolf Steiner nicht wie ein guter Jurist einfach von vier zusammenwirkenden Institutionen sprechen will, sondern er versucht durch Verwendung des Ausdrucks „Strömungen“ das Augenmerk auf dasjenige zu lenken, was er gegenüber dem Programmatischen als das Reale deutlich machen will.

So verwendet Rudolf Steiner in der Folge, - wiederum in gänzlich unbürokratischer Weise, - bei der Nennung der zu bildenden Unterabteilungen nur in Bezug auf das von Ita Wegmann geleitete Klinisch-Therapeutische Institut das Wort „eingliedern“, obwohl es sich formalrechtlich natürlich auch beim Verein des Goetheanum um eine Eingliederung handelt. Der Verein des Goetheanum bestand zwar damals als ein selbständiger Verein, doch erwähnt dies Rudolf Steiner nicht einmal, da er von dem lebendigen organischen Zusammenwirken ausgeht, durch welches die betreffenden Institutionen real schon verbunden sind. Dieses Zusammenwirken sollte im Sinne der Weihnachtstagung auf eine neue gemeinsame Grundlage gestellt werden. Ganz deutlich kommt dies in den schon vorhin zitierten Worten zum Ausdruck: „in den gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Betätigungen eine einheitliche Konstituierung herbeiführen“. Hier verwendet Rudolf Steiner überhaupt nicht den Ausdruck „Institutionen“, sondern „Betätigungen“. Es handelt sich um das tatsächliche gemeinsame Darinnenstehen im Impuls der Weihnachtstagung, nicht um eine bloße formalrechtliche (vereinsmäßige) Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu bestimmten Institutionen oder Rechtskörpern. Es ist also dasjenige, was Rudolf Steiner mit dem vielfach zitierten, aber selten verstandenen Wort von der „Überwindung alles Vereinsmäßigen“ angesprochen hat. Die Anthroposophische Gesellschaft soll nicht auf Formalem begründet sein, sondern auf Realem. Rudolf Steiner spricht nicht von einer bürokratischen Konstituierung, sondern von einer in der Weihnachtstagung begründeten Konstituierung der anthroposophischen Bewegung, der auch der Verein des Goetheanum ebenso wie die anderen von ihm genannten Institutionen durch ihr reales Wirken bereits angehören. Dieses Reale soll sich in einer entsprechenden Relation zwischen Vorstand und den Unterabteilungen sowie einer entsprechenden Gliederung auf der Grundlage der „Prinzipien“ niederschlagen. Auf diesen Aspekt, der aus Rudolf Steiners Wortwahl eindeutig ist, wird hier keineswegs deshalb hingewiesen, um in Abrede zu stellen, daß er sich dessen bewußt war, daß der Verein des Goetheanum bis zum 29. Juni 1924 ein selbständiger Verein war. Die Art aber, wie er spricht, illustriert anschaulich, auf welcher Grundlage er vorgehen will.


Genau derselben Gesinnung entsprechen auch die Worte, die Emil Grosheintz als 1. Vorsitzender des Vereins des Goetheanum ebenfalls am 29. Juni 1924 zuvor an der Generalversammlung dieses Vereins sprach. Auch Grosheintz spricht hier von einer faktisch bereits vollzogenen Übertragung einer Verantwortlichkeit und überhaupt des Goetheanum als Vereinssitz an die Anthroposophische Gesellschaft, obgleich auch diesbezüglich auf formalrechtlicher Ebene noch überhaupt nichts stattgefunden hatte. Er sagt: „Nun war Dornach - bisher der Sitz des Vereins des Goetheanum - der Zentralsitz der Anthroposophischen Gesellschaft geworden, und das durch Herrn Dr. Steiner zu erbauende Goetheanum ist direkt eine Angelegenheit der Anthroposophischen Gesellschaft dadurch geworden.) Die Neugestaltung der Anthroposophischen Gesellschaft bedingt naturnotwendig auch eine Neugestaltung des Vereins des Goetheanum, und der Verein des Goetheanum darf nun unter dem direkten Vorsitz von Herrn Dr. Steiner in neuer Gestalt als eine Abteilung der Anthroposophischen Gesellschaft weiterbestehen.“)


Die oben wiedergegebenen Worte von Rudolf Steiner und von Emil Grosheintz sind überaus aufschlußreich im Hinblick auf die Frage, wie Altermatt und die anderen Beteiligten den Weg, auf welchem am 8. Februar 1925 die Eintragung der Anthroposophischen Gesellschaft im Handelsregister erfolgte, für gangbar ansehen konnten. Von einem Rechtsirrtum, ja von Schwindel, Betrug, Steuerhinterziehung, von einem Hintergehen Rudolf Steiners wird vielfach gesprochen. Man hat die damals Beteiligten als derart einfältig hinzustellen versucht, daß sie den fatalen Irrtum bzw. die gravierenden Widersprüche, die angeblich vorgelegen haben sollen, nicht bemerkt hätten. Man hat sogar behauptet, Rudolf Steiner habe die Sachlage nicht voll überschaut, als er die Anmeldung fürs Handelsregister unterschrieb, während er doch bis zuletzt bei völlig klarem Bewußtsein Übermenschliches geleistet hat. Viele solche durch nichts belegten Behauptungen hat man sich einfallen lassen, aber man hat nicht beachtet, daß der gewiß pragmatische Vorschlag des Amtsschreibers keineswegs in grundsätzlichem Widerspruch zu den Tatsachen stand, da ja der Verein des Goetheanum zwar formal ein selbständiger Verein war, tatsächlich aber voll in der anthroposophischen Bewegung darin stand, welche als ganze durch die Weihnachtstagung neu konstituiert werden sollte. Aus den Worten von Grosheintz geht mit der größten Klarheit hervor, daß die Vertreter des Vereins des Goetheanum die Weihnachtstagung als die Weihnachtstagung auch des Vereins des Goetheanum ansahen. Aus den Worten Rudolf Steiners geht hervor, daß auch er selbst die Sache in diesem Sinne auffaßte. Dies war zwar nicht formal so festgehalten worden, aber es entsprach dem Realen. Es ist der entscheidende Punkt, aufgrund dessen verständlich wird, wieso man den am 8. Februar 1925 gewählten Weg für die Eintragung der Anthroposophischen Gesellschaft im Handelsregister als gangbar ansehen konnte. Nur bei völligem Unvermögen, der von Rudolf Steiner vorgelebten Denkweise zu folgen, kann man glauben, ihn dadurch verstehen zu können, daß man wie ein Erbsenzähler formale und bürokratische Aspekte hin- und herwälzt, um sie in der Düsternis akribischer Pedanterie und theoretisierender Spekulation zu analysieren. Rudolf Steiners Denkweise hat freilich nichts mit Verschwommenheit zu tun. Dasjenige, was er als Reales bezeichnet, gehört aber dem Bereich an, der sich nur in menschlichen Bewußtseinsvorgängen ereignet, denen der gesunde Menschenverstand, der in Begriffen von Gewohnheitsrecht und Handeln nach Treu und Glauben zu denken vermag, viel näher ist, als pedantische Formalisten.


Aufgrund des oben Dargestellten wird deutlich, daß Altermatt mit gutem Grund davon ausgehen konnte, daß man durchaus lebensgemäß die Eintragung der Anthroposophischen Gesellschaft als eine Namensänderung und Umwandlung des Vereins des Goetheanum darstellen konnte. Tatsächlich war ja eben die „Namensänderung“, die im Zusammenhang mit dem 8. Februar 1925 geschah, nichts anderes, als ob man im Sinne des hier Angedeuteten rückwirkend „Korrektur“ an einem rein formalen Aspekt der Weihnachtstagung 1923/24 vorgenommen hätte. Man könnte diese Korrektur so beschreiben, daß man sagt: Die Weihnachtstagung 1923/24 zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft war zwar nominal keine Veranstaltung des Vereins des Goetheanum gewesen. Es ändert aber an dem wesentlichen Vorgang nichts, sie im nachhinein als eine Veranstaltung desselben anzusehen, zumal dieser in der Zwischenzeit, nämlich am 29. Juni 1924, ohnehin auch rechtsgültig in die Anthroposophische Gesellschaft eingegliedert worden ist.) Denn die Weihnachtstagung wurde auch als die Weihnachtstagung des Vereins des Goetheanum aufgefaßt. Im Sinne des Angestrebten ist es ebenso bloß von formaler, am eigentlichen Vorgang nichts ändernder Bedeutung, daß damals nicht alle Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft dem Verein des Goetheanum angehörten. Sie hätten diesem ohne weiteres beitreten können, was im Hinblick auf die bereits bestehende reale Verbindung völlig vereinbar mit dem im Sinne der Weihnachtstagung angestrebten Ziel gewesen wäre. Es ist in diesem Sinne also nur eine formale, am Substantiellen nichts ändernde Frage, ob die an der Weihnachtstagung begründete Gesellschaft aus dem Verein des Goetheanum heraus entstanden ist oder nicht. Der zur „Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft“ umgewandelte und umbenannte Verein des Goetheanum kann in diesem Sinne durchaus als die Gesellschaft betrachtet werden, welche an der Weihnachtstagung 1923/24 entstanden ist. Formal war zwar damals nicht so vorgegangen worden, eine solche nachträgliche „Korrektur“ ist aus der Sache heraus aber vertretbar und entspricht dem angestrebten Zweck, nämlich der Eintragung der Anthroposophischen Gesellschaft im Handelsregister, sodaß künftig auch offiziell die Tätigkeiten des Vereins des Goetheanum innerhalb ihrer sich vollziehen.


Was mit diesen Worten als die faktisch nachträglich vorgenommene „Korrektur“ dargestellt wurde, hätte auch von vornherein genauso durchgeführt werden können. Es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, daß die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft (zu denen fraglos auch alle oder zumindest die allermeisten Mitglieder des Vereins des Goetheanum gehörten) zur Jahreswende 1923/24 einer Einladung zur Weihnachtstagung zur Neubegründung ihrer Gesellschaft genauso dann gefolgt wären, wenn Rudolf Steiner damals veranlaßt hätte, diese Gründungsveranstaltung formal aus dem Verein des Goetheanum heraus durchzuführen. Hätte man die Schwierigkeit der Handänderungssteuer vorausgesehen, hätte man von vornherein so vorgehen können.) Das reale Ergebnis wäre genau dasselbe, nur der formale Weg wäre ein anderer gewesen.


Für die Beurteilung der mit dem 8. Februar 1925 zusammenhängenden Fragen, ergibt sich aus dem oben Dargestellten eine völlig andere Sicht, als wie sie sich aus einer bloßen Betrachtung aus dem Zusammenhang herausgelöster formaler Elemente zunächst aufdrängen kann. Denkt man in dem Sinn, wie er sich aus den Worten von Rudolf Steiner und Emil Grosheintz ergibt, dann erkennt man, daß durch die geschilderte rückwirkende formale Korrektur die Trennung zwischen Verein des Goetheanum und an der Weihnachtstagung begründeter Gesellschaft von vornherein aufgehoben ist. Daher kann zwar nicht der Verein des Goetheanum als solcher, wohl aber der umgewandelte Verein des Goetheanum real als die Gesellschaft betrachtet werden, die an der Weihnachtstagung 1923/24 von Rudolf Steiner als Anthroposophische Gesellschaft bzw. Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft begründet worden ist.


Das oben Gesagte muß freilich als haarsträubende Willkür jedem erscheinen, der nur von Theorien, programmatischen Gesellschaftsideen und Paragraphen ausgehen kann. Der 8. Februar 1925 belegt indes vor allem eines, nämlich daß ein lebenspraktisch denkender Amtsschreiber dem Realen näher sein kann, als so manche, die sich zu Rudolf Steiner bekennen wollen. Die Vorgehensweise vom 8. Februar 1925 erfüllte den grundlegenden Zweck, wie er an der Generalversammlung vom 29. Juni 1924, an welcher Altermatt als Amtsschreiber teilgenommen hatte, von Rudolf Steiner beschrieben worden war. Die Anthroposophische Gesellschaft war nun im Handelsregister eingetragen und der ehemalige Verein des Goetheanum mit ihr gesellschaftsrechtlich verschmolzen, sodaß sie nun – wie dies ja dann über Jahrzehnte tatsächlich der Fall war - auch offiziell als diejenige Institution dastand, aus welcher heraus die Betätigungen des ehemaligen Vereins des Goetheanum (und im weiteren auch der Klinik und des Verlags) gestaltet wurden.)


Daß Rudolf Steiner allen Grund hatte, die eingetragenen Statuten zunächst nicht veröffentlicht haben zu wollen, zeigt die in haltlosem Theoretisieren und Spekulieren sich ergehende Konstitutionsdebatte nur allzu deutlich. Gewiß hätte er zu gegebener Zeit die Mitglieder ausführlich entweder selbst informiert oder informieren lassen. Er hätte aber dann zweifellos die Sache in der Weise erläutert, daß deutlich geworden wäre, daß die getroffenen Maßnahmen in keiner Weise die Grundlage der Anthroposophischen Gesellschaft berühren, sondern daß ihr Sinn lediglich darin lag, in formaler Hinsicht eine Lösung zu finden, welche einerseits den Vorgaben des Amtsschreibers entsprach und anderseits keine von der Sache her ohnehin unbegründeten Handänderungssteuern notwendig machte. Wenn man heute die Statuten vom 8. Februar 1925 erörtert, dann beachtet man häufig nicht, daß die Formulierungen in diesen teils direkt von dem Amtsschreiber selbst stammten.) Man spricht über die notgedrungen den Vorstellungen des Amtsschreibers angepaßten Formulierungen oder auch über „Fusion“, „Inkorporation“, „Doppelorganschaft“ und so fort in einer Weise, als würde es sich tatsächlich um eine Gesellschaft handeln, welche in bürokratischen Regeln zu beschreiben ist. Man diskutiert über „stimmberechtigte“ und „nicht stimmberechtigte Mitglieder“ im Stile formalistisch-vereinsmäßigen Denkens und läßt das besondere Verhältnis von Leitung und Mitgliedschaft, wie es Rudolf Steiner an der Weihnachtstagung geschildert hat, völlig außer acht. Man bemerkt nicht, wie unermeßlich weit man sich in abstrakten juristischen und formalistischen Erwägungen von dem rein Menschlichen entfernt, das doch die Grundlage der Anthroposophischen Gesellschaft sein sollte und in den „Prinzipien“ von Rudolf Steiner dargestellt ist. Man verkennt, daß die „Prinzipien“ ungeachtet ihrer unkonventionellen Form durchaus für die öffentlich-rechtliche Seite der Gesellschaft maßgeblich sind. Es ist völlig abwegig, den „Prinzipien“ eine Relevanz bloß für die esoterische Seite der Anthroposophischen Gesellschaft zuzuschreiben, die Relevanz für die öffentlich-rechtliche Seite hingegen lediglich den eingetragenen Statuten. Heute ist bekannt, daß die Ablehnung der Eintragung der „Prinzipien“ durch den Amtsschreiber auch damals schon durch das geltende Recht in Wirklichkeit gar nicht begründet war. Man bemerkt auch nicht, daß man lediglich einem wirklichkeitsfernen und auch dem geltenden Recht keineswegs entsprechendem Formalismus verfällt, wenn man meint, die im Handelsregister eingetragenen Statuten seien allein aufgrund der Tatsache ihrer Eintragung an die Stelle der Prinzipien getreten, diese dadurch also rechtlich entwertet worden. Die „Prinzipien“ bildeten aber (wie dies über Jahrzehnte auch gehandhabt worden war) die Grundlage, auf der die Statuten vom 8. Februar 1925 auszulegen waren bzw. auch die anderen Statutenentwürfe hätten ausgelegt werden sollen, wären sie umgesetzt worden.) Die Statuten sind nichts anderes, als ein durch die Haltung des Amtsschreibers notwendig gewordener Versuch, die Gegebenheiten der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, deren Grundlage nach wie vor in den „Prinzipien“ beschrieben war, in konventionell geformten Statuten in provisorischer Form festzuhalten. Dies gilt natürlich auch in Bezug auf die Frage, welche Bedeutung der soviel Verwirrung verursachenden, für den 3. August 1924 anvisierten „Neugründung“ und dem ihr geltenden Statutenentwurf zukommt. Auch der 3. Augsut 1924 kann – wenn man nicht Rudolf Steiner eine Intention andichten will, die er niemals geäußert hat – nur im Lichte der Ansprache vom 29. Juni 1924 beurteilt werden. Er stellt genauso wie alle weiteren Statutenentwürfe und die Statuten vom 8. Februar 1925 lediglich einen Versuch um eine formale Anpassung an die Vorgaben des Amtsschreibers dar, nicht aber einen Versuch, sich plötzlich auf eine andere Grundlage zu stellen.


Mit der obigen Darstellung sollte gezeigt werden, daß derjenige Rechtstatbestand, wie er im Februar dieses Jahres auch durch die Dornacher Urteile bestätigt worden ist, keineswegs, wie oft behauptet wird, als Folge willkürlicher Maßnahmen oder verhängnisvoller Irrtümer entstanden ist, sondern daß er (ungeachtet der provisorischen rein formalen Kompromisse) der von Rudolf Steiner selbst geschilderten Intention entspricht. Soferne im Jahr 1925 formale Mängel vorlagen, so sind diese, wie auch die in diesem Jahr ergangenen Urteile bestätigen, durch das konkludente Verhalten irrelevant geworden. Es ist vollkommen abwegig, aus bloßen formalrechtlichen Elementen ableiten zu wollen, daß 1925 die Mitglieder der an der Weihnachtstagung von Rudolf Steiner begründeten Gesellschaft ohne es zu bemerken zu Mitgliedern eines anderen Vereins geworden wären, nur weil sie einen angeblich vorliegenden Rechtsirrtum (oder gar Betrug, wie auch immer noch behauptet wird) nicht durchschaut hätten. Wenn damals behördlicher-oder gerichtlicherseits Veranlassung gesehen worden wäre, die Art der Durchführung des Fusionsvorgangs zu beanstanden (was ja bekanntlich nicht der Fall war), dann wäre nämlich allenfalls denkbar, daß man festgestellt hätte, der Fusionsvorgang sei infolge formaler Mängel nicht gültig. Nicht denkbar ist hingegen, daß aufgrund dessen erklärt worden wäre, die Mitglieder hätten die Anthroposophische Gesellschaft verlassen und diese habe sich infolgedessen aufgelöst. Denn angesichts der zweifelsfrei bestehenden Tatsache, daß die beteiligten Menschen - zu denen ja auch die Mitglieder des Vereins des Goetheanum gehörten - sich weiterhin als Angehörige der Anthroposophischen Gesellschaft auffaßten und diese als die eingetragene Gesellschaft betrachteten, kann hier der in der Schweiz geltende Rechtsgrundsatz „stat voluntas pro ratione“, welcher bedeutet, daß bei einem mangelhaften formaljuristischen Vorgehen das tatsächliche Verhalten der Beteiligten maßgeblich ist, nicht in der zynischen Weise interpretiert werden, die Beteiligten hätten durch ihr tatsächliches Verhalten die an der Weihnachtstagung begründete Gesellschaft verlassen, nur weil dies aus dem Wortlaut der formalen Anmeldung vom 3. März 1925 hervorgehen solle. Denn gerade die formalen Elemente sind im Sinne dieses Grundsatzes im Zweifelsfalle nicht maßgeblich, sondern die im sichtbaren Verhalten der Beteiligten zum Ausdruck kommende Intention. Und diese ging niemals in die Richtung, der nur umbenannte Verein des Goetheanum zu werden bzw. zu sein, sondern genau im Gegenteil dahin, mit den vollzogenen formalen Schritten die an der Weihnachtstagung begründete Gesellschaft einzutragen und tatsächlich eingetragen zu haben. Dies und damit genau die Intention Rudolf Steiners wurde auch tatsächlich rechtswirksam, wie dies durch das Riemer-Gutachten sowie die Urteile des Dornacher Amtsgerichts vom 2./3. Februar 2004 bestätigt wird.

Ein Argument, welches immer wieder als Beleg dafür angeführt wird, daß 1925 keine rechtsgültige Fusion stattgefunden haben soll, besteht darin, daß es keine vorangehende Generalversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft gegeben hat, an welcher eine Eingliederung derselben in den Verein des Goetheanum beschlossen worden wäre. Ganz abgesehen davon, daß es sich hiebei um eine rein formale Frage handelt, da ja in der Folge durch das Verhalten der Mitglieder die getroffenen Maßnahmen über Jahrzehnte eindeutig bejaht worden sind, ist dieses Argument auch deshalb irrelevant, weil es, wie oben gezeigt worden ist, gar nicht darum ging, die an der Weihnachtstagung begründete Gesellschaft in einen anderen Verein einzugliedern. Vielmehr war klar, daß es sich um das handelte, was real sowieso schon zusammengehörte, und was nur in seinem formalen Aspekt angepaßt wurde. Nur wer „mit Paragraphen arbeitet“, statt mit Realem, kann meinen, es wäre von substantieller Bedeutung gewesen, ob man formal von diesem oder von jenem Rechtskörper ausgehend die Weihnachtstagung durchgeführt hat. Das Substantielle entsteht aber nicht durch Formales, sondern wird von ihm lediglich dokumentiert, soferne dieses nicht überhaupt bloßer Schein ist, dem gar keine Wirklichkeit entspricht. Wer im Sinne von Rudolf Steiners Worten mit Realem arbeiten will, der muß von dem ausgehen, was in den Herzen der Menschen lebt. Im Jahre 1925 waren Menschen in der Anthroposophischen Gesellschaft maßgeblich, die dazu fähig waren. Und weil Rudolf Steiner einer von ihnen war, deshalb hat er diese Gesellschaft nicht auf Formaljuristisches und Paragraphen gegründet, sondern ihren Grundstein den Herzen der Mitglieder anvertraut. Dieser enthält die ständige Mahnung, die Realität dieser Gesellschaft nicht in Äußerlichem zu suchen, sondern sie im Denken und Handeln auf der Grundlage des Erwachens am anderen Menschen stets neu zur Wirklichkeit zu machen. Im Jahre 1925 war man von diesem wahren Herzschlag der Anthroposophischen Gesellschaft ausgegangen. )


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