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AutorenbildPierre Tabouret

Zur Konstitution der (Allgemeinen) Anthroposophischen Gesellschaft


1. Tagung : Was gewollt war 16. – 18. Juni 2023

Einladung: Leitung der sozialwissenschaftlichen Sektion Gerald Häfner

Ansprache zum Tagungsthema am Goetheanum

Samstag 17. Juni 2023

Pierre Tabouret

[ ] schriftlich hinzugefügt.


Der Beitrag enthält zwei von fünf Abschnitten. Für die ganze Ansprache richte man sich an den Vortragenden: www.Eurios.online



1


Sehr verehrte Anwesende ,


Es ist mir eine Freude und Ehre , der Einladung dankbar folgend , heute hier sprechen zu dürfen , vor einer Versammlung von Menschen , von denen ich annehme , dass sie sich gründlich mit den Fragen zur Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft und zur Bildung der Freien Hochschule am Goetheanum , also den primären Konstitutionsfragen auseinandergesetzt haben. – Ich muss gleich von vornherein eine für mich entscheidende Differenzierung einführen zwischen primären und sekundären Konstitutionsfragen . Primäre sind für mich solche Fragen , die sich unmittelbar aus dem Weihnachtstagungsgeschehen ergeben . Sekundäre alle die Fragen , die aus den darauffolgenden Umsetzungsvorgängen entstanden sind . Ich werde mich heute an das Tagungsthema halten und nur primäre Fragen in Betracht ziehen . – Sich damit zu befassen gehört zu den schwierigsten und wie Herbert Witzenmann einmal schrieb , vornehmsten Aufgaben , denen sich ein Mensch gegenwärtig widmen kann . Ein großer Teil der Probleme , mit welcher die anthroposophische Bewegung zur Zeit konfrontiert ist , und eben auch die heutige Welt generell , hängt mit dem Nichtbeachten dieser Verhältnisse oder mit einem zu geringen Verständnis für deren Bedeutung zusammen .


Die Anwesenden verfügen vermutlich über denselben mehr oder weniger vollständigen Fundus an geschichtlichen Kenntnissen wie ich über das , was vor , während und nach der Weihnachtstagung stattgefunden hat. Wenn jedoch gefragt wird , was bei der Weihnachtstagung von Rudolf Steiner und mehreren Tausend von Mitgliedern gewollt war , gibt es eine Antwort , die heute gültig ist und mit welcher wir uns einverstanden erklären können : „ Das Initiationsprinzip soll Zivilisationsprinzip werden .“ - Und das , was wir während dieser Arbeitstage aussprechen werden , wird sich im Vertrauen auf gegenseitiges Verständnis im Licht ihrer Bedeutung zeigen. Entscheidend wird nicht unbedingt sein , was wir sagen werden , sondern wie wir die verschiedenen Auffassungen und Erlebnisweisen vernehmen werden , denn jeder von uns hat einen individuellen Werdegang und damit Zugang zu dem Weihnachtstagungsgeschehen.


Herbert Witzenmann , dessen Leistungen und Beiträge zu den sogenannten Konstitutionsfragen , sowohl primären wie sekundären , wenn auch wohl beachtet , doch meistens verschwiegen werden , sah die vielen Probleme im parallelen Bestand der verschiedenen Gruppierungen , die sich gebildet hatten , ohne sich um Zusammenarbeit mit anderen zu bemühen . Deshalb galten seine Bemühungen der Aufgabe , das Urbildliche des Geschehens zu erkennen und darzustellen , so dass es für jeden nachvollziehbar und zur verbindenden Inspirationsquelle werden kann . [ Ein Urbildliches ist kein erinnerbares oder definierbares Gebilde , sondern ein Wesenhaftes , was im intuitiven Wesenstausch aktiv erfahrbar und erfassbar wird , ein übersinnliches Geschehen .]


Zu dieser urbildlichen Gestalt des Weihnachtstagungsgeschehens gehören zwei zentrale Motive : die bewusst gewollte uneingeschränkte Öffentlichkeit und der zu bildende Bewusstseinsschutz . Mit dem Ersten findet ein endgültiges Brechen mit jeglicher Sektiererei statt und mit dem Zweiten treten wir in einen deutlichen Abstand zu jeglichen vereinsmäßigen und machtpolitischen Spielen . Die Öffentlichkeit ergibt sich aus den offengelegten Bedingungen der Schulung und der Mitwirkung ; und der Bewusstseinsschutz ist das Ergebnis des Mitvollzugs des Gegenstromprinzips in den unterschiedlichen dreigliedrigen Erscheinungsweisen des Urbildes : im seelisch beobachteten Geistselbsterleben des Einzelnen seit der Philosophie der Freiheit ; im meditativen Grundsteinspruch ; in den Gesellschafts-Prinzipienfolge ; in den abgestuften Bereichen der Freien Hochschule und ihrer Ausstrahlung in die verschiedenen Fachbereiche . In diesen verschiedenen Erscheinungen prägt sich das trinitarische Urbild einer Dreigliedrigkeit ein , die nicht zu übersehen ist und für jeden zur grundlegenden Erfahrung werden kann .




2


Im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit führt Rudolf Steiner Folgendes an , was allen Anwesenden wohlbekannt ist , was ich seiner Bedeutung nach als Grundlage meiner weiteren Betrachtung nehmen werde .


Das Denken ist das unbeobachtete Element unseres gewöhnlich-alltäglichen Lebens , denn wenn wir etwas tun oder bedenken , beobachten wir nicht gleichzeitig das Denken , das dabei angewendet wird . - Kurz danach fügt Rudolf Steiner hinzu : die Beobachtung des Denkens sei die wichtigste Beobachtung , die ein moderner Mensch überhaupt machen kann . - Ein Paradox : nicht beobachtbar und doch die wichtigste Beobachtung . Kurz davor hat er gezeigt , dass die Beobachtung des Denkens durch eine Kehrtwendung der Aufmerksamkeit nach Innen möglich ist und dass dieser Schritt in einen Ausnahmezustand des Bewusstseins führt , eine Erfahrung , die jeder gutwillige Mensch heute machen kann . Das ist das erste Moment .


Es folgen drei Beobachtungen , die als die ersten Erfahrungen im Ausnahmezustand des Bewusstseins angeschaut und verstanden werden sollen .

1. Ich bin derjenige der das Denken aktiviert und betätigt . Die allererste bewusste Intuition ist die Intuition des eigenen Denkwesens , dieses bin ich selbst . [ Intuitive Erfahrung ]

2. Meine gesamte innere Denkaktivität entfaltet sich auf dem Schauplatz meines Bewusstseins . Mein Bewusstsein ist der Sammelraum meiner sämtlichen Erfahrungen , die Wirklichkeit , die mir bewusst wird und meiner sich entwickelnden Persönlichkeit innerhalb meines sozialen Umkreises . [ Inspirative Erfahrung ]

3. Das Denken hat seine eigene , von mir unabhängige unantastbare Ordnung . Ich kann mich zwar im geistigen Universum der Begriffe völlig frei bewegen , kann aber deren Bezüge willkürlich nicht verändern . [ Imaginative Erfahrung ]

Diese drei Beobachtungen bilden das zweite Moment .


Rudolf Steiner entwickelt dann in seinem Grundwerk , wie das Ich an der Wirklichkeitserfassung und an seiner Persönlichkeitsbestimmung aktiv beteiligt ist . Die Folgen dieser Entdeckungen werden zur seelisch-geistigen , meditativen Schulung des modernen Menschen weiter entwickelt . Sie ist die Grundlage der Fähigkeiten der moralischen Intuition , der moralischen Phantasie und der moralischen Technik , und wird in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in den drei Perspektiven des Monismus als Ergebnis der Erkenntniswissenschaft , des ethischen Individualismus als Ergebnis der freien Handlungen , und in einer Sozialästhetik im Sinne Friedrich Schiller , als Prozess der Gemeinschaftsbildung im erkenntnischristlichen Sinn wirksam . Das ist das dritte Moment mit „open end“ .


Mit diesen drei Feststellungen , welche die grundlegenden Umwertungen der heute noch immer herrschenden materialistischen Gesinnung enthalten , waren mit dem Erscheinen der Philosophie der Freiheit 1894 die Grundlage für die Einführung und die heutige Entfaltung der modernsten sozialen Gestaltung gelegt , wie sie durch das Weihnachtstagungsgeschehen ins Leben gerufen wurde .




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