Nach einem Vortrag, gehalten in Dornach am 27. Februar 2022
Die folgenden Gedanken und Überlegungen sind der Tradition verpflichtet, an Rudolf Steiners Geburtstag der Dankesverpflichtung nachzukommen, die sich aus der geistig-seelischen Heilwirkung sein Werkes und seines Wirkens für Millionen von Menschen im Verlauf des letzten Jahrhunderts ergibt. Am Rande sei bemerkt, dass ich zu der umstrittenen Frage des genauen Geburtstages - Sie wissen, der 25. oder der 27.Februar 1861? - nicht Stellung nehme. Das kann bei anderer Gelegenheit geschehen. In diesem Jahr fällt der 27.Februar auf einen Sonntag, welcher sich besser für die Einladung zu einem Geburtstagsgedenken eignete als der vergangene Freitag.
Die Überlegungen, die ich vor Ihnen anstellen möchte, werden Ihnen durch naheliegende Gründe nicht unbedingt aneinandergefügt erscheinen, ja, sie mögen bei Ihnen zunächst den Eindruck erwecken, dass sie keine Verbindungsscharniere besitzen. Bei vertiefter Betrachtung werden Sie den Zusammenhang gewiss finden. Diese unter einer begrifflich entwickelten Einheit auszuführen, mag bei einem zukünftigen Anlass sinnvoll sein. Heute will ich die mir zur Verfügung stehende Zeit abgekürzt für das nutzen, was mir auf dem Herzen liegt.
Zunächst mag man sich die gewiss erlaubte Frage stellen (gleichwohl sich der Denkumfang des Erlaubten auch in den Kreisen anthroposophischer Sympathisanten verengt hat), was es an einer Geburt einer Individualität zu feiern gilt, welche, wofür gute Gründe sprechen, bereits ihre nächste Geburt auf einem anderen Kontinent erlebt haben mag. Beim Weihnachtsgeschehen der so unendlich komplex vorbereiteten Geburt des Leibes des Erlösers lagen weit in die Vergangenheit reichende, okkult begleitete Geburtsvorkehrungen vor, welche das Bewusstsein von über dreissig Generationen umspannt haben. Tod und Geburt sind die beiden Pforten des irdischen Lebens. Haben wir Anthroposphen vielleicht nicht Anlass, uns mehr mit den Beweggründen zu befassen, die am 30.März 1925 zum Tode Rudolf Steiners geführt haben? Stehen uns nicht seine damals verkörperten Schüler in seelisch-geistig ausreichender Nähe, um das um sie eng gezogene Netz derjenigene inneren und äusseren Umstände zu entdecken, die zu Rudolf Steiners gewiss verfrühten Tod geführt haben ?
Im Schicksal von Marie von Sievers, ab 1914 Marie Steiner, lag es, für Rudolf Steiner die stärkste irdische Hilfestellung bei der Entwicklung seiner Vortragstätigkeit und dem Aufbau der anthroposophischen Gesellschaft darzustellen. Für diese Aufgabe hat sie sich mit selbstloser Konsequenz eingesetzt. Über die Geburt Rudolf Steiners hat sie sich nie geäussert. Über dasjenige, was zu seinem Tode führte, hat sie wie niemand sonst in aller Deutlichkeit gesprochen und geschrieben. Vernehmen wir doch noch einmal ihre Äusserung, unmittelbar nach dem Tode Rudolf Steiners, welche sich vor der zweiten Himmelspforte, dem Ausgang aus dem Erdenleben, verneigt. Sie wurde der Erstausgabe der biographischen Aufzeichnung "Mein Lebensgang" als Vorwort beigefügt, bei den folgenden Ausgaben aus verständlichem Grund weggelassen.
Er starb - ein Dulder, Lenker, ein Vollbringer, in einer Welt,
die ihn mit Füßen trat und die emporzutragen er die Kraft besaß.
Er hob sie hoch, sie warfen sich dazwischen, sie spieen Hass,
verrammten ihm die Wege,
verschütteten was im Entstehen war.
Sie wüteten mit Gift und Flamme, frohlocken jetzt,
besudeln sein Gedächtnis. -
Nun ist er tot, der euch zur Freiheit führte,
Zum Lichte, zum Bewusstsein,
zum Erfassen des Göttlichen in einer Menschenseele,
Zum Ich, zum Christus. War es Verbrechen nicht, dies Unterfangen?
Er tat was schon Prometheus büßte,
was Sokrates der Schierlingsbecher lohnte,
was schlimmer war, als Barrabas' Vergehen.
Wir, die Dämonen, können dies nicht dulden, wir hetzen,
jagen den, der solches wagt, mit allen Seelen, die sich uns ergaben,
mit allen Kräften, die uns zu Gebote.
Denn uns gehört die Zeitenwende, uns diese Menschheit,
die, des Gottes bar, hinsiecht in Schwäche, Wahn und Laster.
Wir lassen das Erbeutete nicht fahren, zerreißen den,
der solches wagte.
Er wagte es - und trug sein Los. In Liebe, Langmut,
im Ertragen der Unzulänglichkeit, der Menschenschwächen,
die stets sein Werk gefährdeten, die stets sein Wort missdeuteten,
die seine Nachsicht stets verkannten,
in ihrer Kleinheit sich nicht selbst erfassten,
weil seine Größe sich dem Maß entzog.
So trug er uns, - und uns verging der Atem beim Folgen seiner Schritte,
bei dem Fluge, der schwindelnd hoch uns hinriss.
Unsre Schwäche sie war das Hemmnis seines Fluges,
sie legte sich wie Blei um seine Füße ...
Jetzt ist er frei. Ein Helfer denen droben,
die Erderrungenes entgegennehmen zur Wahrung ihrer Ziele.
Sie begrüßen den Menschensohn,
der seine Schöpferkräfte entfaltete im Dienst des Götterwillens,
der dem verhärtetsten Verstandesalter, der trockensten Maschinenzeit
den Geist einprägte und entlockte … Sie wehrten's ihm.
Die Erde webt im Schatten, im Weltenraum erbilden sich Gestalten,
der Führer harrt, der Himmel ist geöffnet,
in Ehrfurcht und in Freude stehn die ScharDoch graue Nacht umfängt den Erdenball.
Eine Geburt wird durch den Ertrag qualifiziert, welche der Mensch mit dem Tod in die geistige Heimat mitnimmt. Dieser Aspekt verkörperte sich in den beiden Säulen, die von Hieram Abiff, der phönizische Baumeister des Salomonischen Tempels, Jakin und Boas genannt wurden (siehe 1.Buch der Könige des AT). Sie flankierten den Eintritt in den Tempel.
Eine künstlerisch freie Wiedergabe hat ein unbekannter Bildhauer im romanischen Stil ca. 1230 n.Chr. für die Vorhalle des Doms zu Würzburg geschaffen. Nachdem die Vorhalle im 17.Jhdt. abgerissen wurde, wurden die zwei Säulen im Innenraum des Doms aufgestellt.

Die Jakin-Säule rechts ist achtgliedrig mit einem Knotenmotiv im Kapitell. In der Mitte des Säulenschafts befinden sich zwei aneinander geschobene Knoten . - Die linke Boas-Säule ist viergliedrig und trägt ein sich öffnendes Blattmotiv (korinthisch) als Kapitell. Die vier Säulenstränge werden selbst zu zwei auseinandergezonen Knoten verwendet. Hier hat sich eine Vertauschung der Säulensymbolik ergeben. Unter den sieben apokalyptischen Siegeln, die Rudolf Steiner 1907 für den Theosophenkongress in München anfertigen liess, zeigt das mittlere vierte Siegel die beiden Säulen (so wie sie auch im Zeremoniell der Freimaurer Verwendung finden): Jakin (Weisheit) steht links im Wasser, Boas (Kraft) rechts auf dem Felsen. Neu hat Rudolf Steiner der verwendeten Vorlage des französischen Okkultisten Eliphas Lévi bei der Jakinsäule den Sechsstern (Lilie), für Boas das Pentagram (Rose) hinzugefügt und beide mit einem Regenbogen überwölbt.

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